Texte

Von mir

Über mein Zeichnen

In meinen Zeichnungen beschäftige ich mich seit langem damit, in der direkten Auseinandersetzung mit dem Stadtraum eine eigene Zeichensprache zu entwickeln. Ich suche den Moment im Akt des Zeichnens, in dem sich gleichzeitig der Raum in seiner Tiefe und die Zeichen und Kürzel des jeweiligen Ortes mit dem Rhythmus und den dynamischen Spuren der Zeichenbewegung zu einer eigenständigen Verbindung fügen.

Die ungeordnet gewachsene Mischung aus Raum, Architektur und Zeichen des aktuellen Lebens an einem bestimmten Ort in der Stadt „durchlaufe“ ich schnell mit dem Auge und gebe Impulse in meine zeichnende Hand. Auf dem Papier entsteht eine Sammlung von gefundenen Konstrukten, von Bewegungen und Rhythmen. Diese Mischung aus Zufall und Wissen, aus Unbedarftheit und Virtuosität, aus persönlicher Verfassung und äußerer Gegebenheit stellt den Zielpunkt in jeder Zeichnung dar.
Dafür fertige ich an jedem Ort eine ganze Reihe von Zeichnungen an, „übe“ mich an den jeweiligen Gegebenheiten. Oftmals verschränke ich später zeichnerische Ausschnitte verschiedener Arbeiten durch Zerschneiden und Neuzusammensetzen in einem Blatt. Eine erneute Zeichnung dieser Montagen vor Ort bringt sich verdrehende Perspektiven in linear-organischen Zusammenhängen hervor.

Die klassische Bleistiftzeichnung ist mein Medium. Ich möchte eine spektakuläre Materialwirkung weitestgehend ausschließen zugunsten einer größtmöglichen Offenheit in der Semantik der Zeichen sowie einer Konzentration auf den beschriebenen Spannungspunkt im Zeichenkonstrukt.
Die Konzentration im Unkonzentrierten und Unhierarchischen ist es, von der ich mir wünsche, dass sie den Betrachter in der Schwebe hält, im Hin und Her zwischen Erkennen und Entdecken, Rätseln und Forschen – wie in einer Partitur, deren vermeintliche Bekanntheit ihn lockt, sie selbst und neu zu interpretieren, oder wie in einem Suchbild, einem Schnittmuster oder einer Landkarte, in der gleichzeitig Linien, Zeichen, Bilder und Symbole zu enträtseln sind.

Johannes Buchholz, 2012

Comments on my work

For some time I have used drawing as a way to develop my own sign language through a direct encounter with urban space. I search for the moment in the act of drawing in which spatial depth and the signs and figures of a particular place are joined in an autonomous alliance with the rhythm and dynamic traces of the drawing process.

With my eyes I quickly “travel through” the randomly growing combinations of space, architecture and signs of contemporary life in a specific urban setting, sending signals to my recording hand. The result on the sheet of paper is a collection of isolated constructs, of movements and rhythms. This combination of chance and knowledge, of awkwardness and virtuosity, of personal temperament and external circumstances is the task of each drawing.

To achieve this I produce for each site a whole series of drawings in which I “rehearse” the data gathered in the scene. I then often recombine details from different drawings by cutting them up and rearranging them on a new sheet. The redrawing of these montages on location leads to twisting perspectives within a linear, organic structure.

I work with the classical medium of pencil on paper. As far as possible I try to avoid spectacular effects in favour of the greatest possible semantic openness and a concentration on the abovementioned point of tension in the construction of the drawing.

My hope is that this concentration in the diffuse and the non-hierarchical is what holds the viewer in a state of suspension in the back and forth between knowledge and discovery, deciphering and research – as in a music score whose assumed familiarity encourages new interpretations, or a picture-puzzle, sewing pattern, or map in which lines, signs, images and symbols must be deciphered all at the same time.

Johannes Buchholz, 2012

Ensemble – Zeichnungen vom Musik Machen

Im Frühjahr 2011 besuchte ich das Ensemble Recherche aus Freiburg während des Festivals für neue Musik, „Ultraschall“ in Berlin und konnte in den Proben zum Auftritt zeichnen. Diese Zeichnungen bildeten den Kern einer Serie, die sich mit dem Musik Machen beschäftigte. Ich zeichnete unterschiedlichste musikalische Gruppierungen in Konzert- und Probensituationen. Die Skizzen aus der direkte Begegnung wurden gedreht, zerlegt, neu zusammengefügt und auf unterschiedliche Arten „durchgearbeitet“, bis das entstandene Liniengeflecht eine Eigendynamik entwickelte. Dabei interessierte mich weniger ein synergetischer Effekt denn ein Spiel mit dem Raum und dessen Dynamik, die im Zusammenspiel der Musiker entsteht. Die Lineatur aus Figurationen und Raumdetails öffnen, in Schwingung versetzt, wieder neue Assoziationsräume, und seien es musikalische.

Die verschiedenen Ensembles brachte ich in der Ausstellung „Ensemble“ zusammen und stellte sie Landschafts- und Architekturzeichnungen gegenüber, die wiederum ein eigenes Spiel im und mit dem Raum inszenieren.

Johannes Buchholz, 2013

Über mich

Gerhard van der Grinten - INTRODUCTION ET ALLEGRO XXIII

Dein ist all Land, wo Tannen stehn,
Lässt Dich nur Sonntagskindern sehn.
Wilhelm Hauff

Der Wald ist des Deutschen Sehnsuchtsort. Weit mehr, als das für jedes andere Volk der Fall wäre. Vielleicht, weil es hierzulande noch verhältnismäßig viel davon gibt. Andere Nationen haben für ihre Seefahrts- und Kolonialambitionen ihre Wälder gründlich dezimiert, manche in einem Maße, dass wenig gescheites nachgewachsen ist. Ja, bis zu den Römern waren unsere Breiten tatsächlich vorzugsweise Urwald gewesen, erst mit diesen begannen Rodungen in großem Stil. Vorher hätte dies die dünn gesäte Bevölkerung gar nicht zuwege gebracht. Und es ist auch nicht so, als sei der deutsche Wald besonders heimelig gewesen. Wer durch die Wälder reiste, war gut beraten, zuvor sein Testament zu machen: im Wald da hausten wilde Tiere mit beträchtlichem Appetit, und Gelichter, dass es auf Leib, Leben und Börse der Reisenden abgesehen hatte. Der Schrecken, den der undurchschaubar dunkle Tann verbreitete ist spürbar noch in den Angstphantasien der grimmschen Märchen, in der spukigen Phantastik eines Wilhelm Hauff. Noch da, wo der Holländer Michel aus Verhau und Flößen längst ein einträgliches Geschäft gemacht haben mochte.

Die Verklärung setzt mit der Empfindsamkeit des achtzehnten Jahrhunderts ein, in der, drapiert um Hain und Hügel, der Wald zur Idylle wird. Vollends in der Romantik, die den Wanderer zum mehr oder weniger heimlichen Ideal verklärt, mancher davon ein singender Taugenichts, der nirgendwo besser aufgehoben wäre, als im kühlen Born, baumumstanden, schattig, frohgemut. Oder vielleicht ein bißchen melancholisch.

Tatsächlich aber ist der Wald ein faszinierendes Reservat, in dem der Mensch ja nur zu Gast ist. Und sich leider selten so benimmt. Ein Biotop, das gänzlich ohne seine Anwesenheit auskommt. Still, raunend, raschelnd, von Sonnenstrahlen durch das Blätterdach beschienen, entlaubt im Winterschlaf. Um hernach wieder aufzuwachen zum Waldweben. Bestanden von Wesen, die viel älter sind als wir, Jahresring um Jahresring Erinnerungen sammeln in einer Art und Weise, die wir nicht einmal annähernd verstehen könnten. Über eine viel längere, als unsere Lebensspanne. Lange vor den Tieren da, von denen wir abstammen. Und überragend in Höhen, nach denen wir uns bestenfalls die Hälse verrenken. So individuell, als nur ein Mensch sein könnte. Pflegen Aufzucht und Sozialverhalten und erhalten zuweilen sogar ihre gebrechlichen Artgenossen. Und sie können sich über ihre Wurzeln und deren symbionten Pilze unterhalten, in Sprachen, für die unsere Ohren kein Stück weit taugen. Der Mensch aber geht in den Wald, um sich vom Menschen zu erholen. Was für eine geradezu fabelhafte Ironie.

 

Daneben aber sind sie von einem unerschöpflichen Reichtum der Formen, Blattwerk, Stämme und Gezweig, Bruch und Wurzelstrünke, Blüten, Früchte. Wechseln ihre farbigen Kleider über das Jahr, sammeln Licht und lassen es in Strahlen und Kaskaden durchscheinen, als ein unaufhörliches Spiel von Helligkeit und Schatten. Die Gesellschaft der Stämme, die Spiegelungen in den Weihern. Klingen, rauschen, wesen in Verharren und windbewegter Geste. Man könnte sie schauen und doch nie an ein Ende kommen, den Reichtum ihrer Gestalt einfangen, und doch bliebe auf immer noch viel mehr, das sich betrachten, zeichnen, malen ließe.

Und wenn es auch bei weitem nicht sein einziges Thema ist, so ist der Wald doch ein großes Thema für Johannes Buchholz, das er immer aufs neue aufnimmt – und den er immer aufs neue besucht. Als großes Tableaux, farbenprächtig aufrauschend im Glanz der Klänge. Als verhaltenes Notat, aufmerksam aber, wach, scharfsichtig. Zuweilen nur als ein Detail, ein Wurzelwerk, der Blick aus der Krone eines Baumes mit der Geselligkeit von reifen Äpfeln, da nur die atmosphärische Anmutung. Mit einem Lineament, das kaum mehr ist als ein duftiger Anhauch, eine sachte Silhouette, die dennoch im vagen Umriss alles ausdrückt. Andere sind in kleinste Notate aufgelöst, sozusagen nurmehr die Interpunktion von Forst. Wieder andere, halbverschneite Lichtungen und Wälder scheint es, erreichen auf ein paar Schritt Entfernung eine geradezu bestürzend realistische Wirkung. Und dennoch ist alles in erster Linie genuin zeichnerisch, begreift sein Sujet mit der Linie, der Spur ihres Zuges, der Verdichtung, der Schraffur. Nichts gibt vor, nichts tut Pose. Und wenn man – von ferne vielleicht – versucht ist an eine Ahnschaft zu denken, an Leistikow, an Hagemeister oder Lesser Ury, dann, weil diese Blätter ihre Könnerschaft und Grandezza nicht zu verhehlen glauben müssen, dann – und das ist eine seltene Tugend geworden – weil sie sich trauen, einfach ganz unverschämt schön zu sein.

29.X.2021

Stefan Tolksdorf - Einführung zur Ausstellung „Dicht Dahinter“

Gäbe es ein Wesen, womöglich von einem fremden Planeten, das die Welt nicht in ihren Volumina wahr nähme, sondern als Wechselsiel linearer Gebilde, von Flucht- und Bewegungslinien – es sähe wohl nichts anderes als die Bilder von Johannes Buchholz.

Der Ausgangspunkt dieses originären Zeichners ist die sichtbare Welt, sind Räume und Architekturen, die er im skizzenhaft spontanen Strich neu vermisst, die er sich zeichnend erschießt. Keine nachträgliche Bauskizze am Befund, dazu fehlen die klaren perspektivischen Koordinaten, vielmehr eine Form der Aneignung, besser Annäherung, die keine klare Grenze zwischen Innen und Außen: Befundskizze und subjektivem Empfinden zulässt. Orte und Landschaften des Außen wie des Innen, aufeinander projiziert und ineinander gespielt.

Raum, öffentlicher Raum konstituiert sich keineswegs nur über optische Koordinaten und es bedarf eines für die Verflechtung der Sinne empfänglichen, hochsensiblen Registrators wie Johannes Buchholz daraus ein Bild zu formen.

Wobei das Wort „formen“ hier einen möglichst weiten Sinnradius beschreibt, denn geschlossene Formen gibt es in diesen Bildern so gut wie nicht. Es sind komplexe Momentaufnahmen aus dem Strom der Zeit, der sie förmlich durchfließt. Etwas Vorläufiges haftet ihnen an, auch wenn sie bauliche Formen abrufen, die sogar den Krieg überstanden, wie Bruno Tauts sichelförmige Backsteinschule in Berlin-Lichtenberg. Der Kunsthistoriker Buchholz hält die für das Gebäude signifikanten Umrisslinien fest, unterstreicht das Visionäre der Entwürfe, die über die bauliche Realisation weit hinaus gehen. Überhaupt eignet auch Buchholz´ Arbeiten der Elan der Moderne und Vormorderne, insbesondere in seinen utopischen Konfigurationen: Piranesi und Boullé kommen in den Sinn, mehr noch die Stadtvisionen eines Walter Gropius Le Corbusier.

Noch komplexer wird es, wenn Klangräume und ummauerte Räume einander durchdringen. Der Zeichner nahm an Orchesterproben des Freiburger Ensemble Recherche und des Rias-Kammerorchesters in Berlin teil. Doch allenfalls in stenographischer Formelhaftigkeit ruft er die Musiker ins Bild. Wichtiger als die Körperformen sind ihm allemal die musikalischen Rhythmen, in die er das Bild förmlich zerlegt. Sinneseindrücke durchdringen und verdichten sich, wie auch die grafischen Gefüge. Letztlich geht es um Simultaneität, jenen Eindruck, den schon Paul Klee konstatierte: Dass die Malerei – ersetzen wir dieses Wort durch „Zeichnung“, der Musik dadurch überlegen sei, dass das Zeitliche hier eher ein Räumliches sei.

Gemeint ist: Anstelle der Aufeinanderfolge, der Sukzession der Klangerlebnisse, dominiert hier der Eindruck eines Zugleich. Graphische Simultaneität ist das, was Johannes Buchholz uns in der Verschachtelung seiner Raumebenen vermittelt.

Gäbe es einen Fotografen für das imaginäre Buch „Ost-Ornament“ – er würde dort fündig. Buchholz schildert die Gartenzaunidylle ohne jeden Anflug von Ironie. Auch hier scheint das Motiv nur zeichnerischer Vorwand. Das heißt: nur er kann die Skizze auf das konkrete Straßenbild beziehen. Für uns, die Betrachter, ist der konkrete Ort fast unerheblich, bis auf die Tatsache, dass es auch soziale Netzwerke sind, die sich hier in linearen Geflechten manifestieren.

Es geht um Netzwerke, um das Gefüge von Bauten und dem Leben darin, um die Verwischung der Differenz zwischen Festem und Beweglichen. Es geht um die Dynamisierung der Welt, ihre Verwandlung in ein offenes System, oder ist es keine Überführung, sondern ein Offenbaren dessen was ist – beunruhigend und animierend zugleich: Auf der Ebene der kleinsten Strukturen ist alles nur noch Bewegung.

 

Merdingen, 2011

Speech by Stefan Tolksdorf at the opening of the exhibition DICHT DAHINTER, Merdingen 2011

If there were a creature – perhaps from another planet – who did not perceive the world in terms of volume, but in the interplay of linear structures, of lines of flight and motion, it would probably see nothing other than the works of Johannes Buchholz.

The starting point of this innovative draughtsman is the visible world: spaces and architecture, which he re-maps using a swift and spontaneous line, and which he explores by means of drawing. These are not retroactive building plans – for this, clear perspectival coordinates are missing – but a form of appropriation – or better familiarization – which avoids any clear distinction between inside and outside, empirical study and subjective feeling. These are inner and outer landscapes and places projected onto one another and merged.

Space, public space, is in no way only constituted via optical coordinates, and it requires a registrar as sensitive to the interweaving of the senses as Johannes Buchholz to form an image out of this.

Here, the word “form” should be understood in widest possible sense, since closed forms are almost entirely absent from these pictures. These are complex records of specific moments in the stream of time, which they formally traverse. They have a provisional quality – even when they recall architectural forms that have survived the war, such as Max Taut’s crescent-shaped brick school in Berlin-Lichtenberg. The art historian Buchholz retains the contours significant for the building, and underscores the visionary aspect of the design, which goes far beyond the architectural realization. Particularly suited to Buchholz’s works is the vigour of modernism and the pre-modern, especially in its utopian configurations: Piranesi and Boullée come to mind, but also particularly the urban visions of Walter Gropius or Le Corbusier.

Things become even more complex when walled spaces begin to merge with sound spaces. The artist sat in on rehearsals of the Freiburg-based ensemble recherche and the RIAS chamber choir in Berlin. However, the musicians are included in the picture at most as stenographic notations. More important than the bodies as such are the musical rhythms into which he formally organizes the picture. Sensory impressions overlap and solidify, as do the graphic structures. Ultimately, it is a matter of a sensation of simultaneity, one that had already been noted by Paul Klee, who remarked that painting – let’s replace this word with “drawing” – is superior to music insofar as the temporal element becomes spatial.

What is meant is that, instead of a succession of sound experiences, what dominates is the impression of an all-at-once. What Johannes Buchholz conveys through the interweaving of different spatial planes is a graphic simultaneity.

If there were a photographer for the imaginary book East Ornament – he would certainly find something here. Buchholz portrays the garden fence idyll without any trace of irony. Here too the motif appears merely as a graphic pretext. Which is to say: only the artist can relate the sketch to the concrete scene. For us, the viewers, the concrete place is almost irrelevant; it is enough to know that these linear meshes represent social networks.

These works are concerned with networks, the structure of buildings, and the lives lived inside them, as well as the blurring of the distinction between the fixed and the dynamic. Johannes Buchholz is interested in a dynamization of the world, its transformation into an open system; or perhaps these works don’t involve a translation, but a manifesting of what is – one that is simultaneously both unsettling and animating. At the level of the smallest structures everything is flux.

Hans-Dieter Fronz - Veggie Days und Farbe satt

AUSSTELLUNGSRUNDGANG in Freiburg durch das Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, die Galerie Artkelch und die Künstlerwerkstatt im L6.

Wo ist Johannes Buchholz? – Sicher nicht in der mittleren Halle, da hängen zurzeit, das weiß ich genau, Arbeiten eines anderen Zeichners. Zudem könnte ich da gar nicht hinein, wie mir in gedämpftem Ton eine junge Frau bedeutet: Konzert, das ensemble recherche, eine Uraufführung! So wende ich mich nach links, die Tür zum Vorraum der Nordhalle des Morat-Instituts für Kunst und Kunstwissenschaft in Freiburg steht halb offen, […] Das muss Johannes Buchholz sein. […]

Feine Liniengespinste in Graphit überziehen Blätter von teils beträchtlicher Größe. Erst allmählich ordnen sie sich fürs Auge zu sinnvollen, lesbaren Strukturen. Urbane Architektur scheint auf, unwirklich und wie am Reißbrett entworfen; auch technische Assoziationen werden rege. Man meint Schaltkreise zu sehen, Drahtverbindungen, Leitungen – Spiegel-Bilder einer vernetzten Welt. Und dann, in Pultvitrinen, unerwartet: der Mensch. Figuren schälen sich aus vermeintlich abstrakten Lineamenten hervor, Musizierende treten aus dem Nebel des Informellen und in Aktion: eine Combo mit Schlagzeug, später kleine Gruppen von Streichern, zuletzt ein veritables Orchester. Bis sich, spielerisch, alles wieder in unfigürliche Linienstrukturen auflöst.

[…] Graphit-Gekritzel, informelle Liniengefüge in Kreide, der Pinsel mischt mit – ungegenständliche Setzungen, auf dem Papier aufblühend kleinteilig abstrakte oder apodiktisch gesetzte großräumige Strukturen mit weiten Linienbögen wie auf zwei geräumigen Blättern in Rot. Und immer künden die Zeichnungen von der schönen Freiheit der Linie, die gegen das disziplinierende Ordnungsschema revoltierend eigensinnig ihre eigenen Ziele verfolgt. […]

 

Badische Zeitung, 9.Oktober 2014

Susanne Düchting - Einführungsrede zur Ausstellung „DURCHSICHT“

Anthropologisch gesehen, haben Zeichnung und Schrift denselben Ursprung in der Geste der Hand. Diese wurde in direkter Motorik als Werkzeug verwendet – hinzukam die reflexive Beobachtung des Gesichtssinnes. Darin mag das Archaische gründen, das Handzeichnungen manchmal anhaftet, aber auch ihr Reiz – nicht ohne Grund existiert die Handzeichnung seit Beginn der Moderne als eigenständige Gattung; zugleich aber muten sie in unserem Zeitalter, das viele hochentwickelte technische Hilfsmittel kennt, beinahe anachronistisch an. Dass Hand und Auge selbst aber perfekte, hochkomplexe Werkzeuge sind, machen Handzeichnungen sichtbar. Sie zeugen authentisch von der Anwesenheit und dem Zusammenspiel von Auge und Hand. Zudem sind sie einzigartig aufgrund ihrer Nicht-Wiederholbarkeit. Allgemein kann man sagen, dass jede Zeichnung auf vielfältige Weise davon handelt, wie die Fläche strukturiert und damit erst ihre größte Eigenschaft, die Leere, sichtbar gemacht werden kann. Beim Zeichnen stellen sich dem Zeichnenden zentrale Fragen: was sehe ich, wie sehe ich, wie zeige ich es? Die Betrachter und Betrachterinnen können anhand der Spuren auf dem Blatt den Seh- und Zeichenprozess verfolgen. Das Auge folgt den Wegen, Neben- und Umwegen der Hand. Dabei sehen wir, dass die Bewegung der freien Hand auf dem Blatt aus dem Nichts etwas gemacht hat: Die gezeichneten Linien, Konturen und Flächen zeigen eine neue, andere Realität, die nicht in erster Linie etwas abbildet, sondern vor allem etwas bildet, was vorher so nicht existierte.

*

Und damit führt dieser Exkurs direkt zu den Arbeiten von Johannes Buchholz.

Die seriell angelegten Zeichnungen zeigen ausschnitthaft Stadtlandschaften, Architektur, Industrie- bauten und Zeichen des modernen, gegenwärtigen Lebens, sie handeln von räumlichen Situationen im Zentrum und an der Peripherie. Und – vielleicht etwas überraschend – einige befassen sich mit Klangräumen.

Materielle und immaterielle, sichtbare und unsichtbare Konstruktionen, Strukturen, Rythmen, Energien, Dynamiken, Prozesse und Systeme, das Zusammenspiel der Zeichen in Architektur und in der Musik sind die Themen von Johannes Buchholz. Interessant ist, dass der studierte Maler nun vor allem Zeichner ist und zudem in 95% der Arbeiten keine Farbe einsetzt. Den großformatigen Zeichnungen liegen immer konkrete Situationen (Platz, Straße, Ort, Stadtarchitektur, Bau, Orchestermusiker auf der Bühne) sowie Eindrücke (visuelle, akustische, atmosphärische) zugrunde. Diese Recherchen hält Johannes Buchholz in zahlreichen Skizzen fest, wobei die Position, die der Künstler jeweils im Raum einnimmt, eine entscheidende Rolle spielt. Danach entstehen im Atelier die großformatigen Themen-Zyklen. Und hierin besteht das Spezifische der Arbeiten: das Skizzierte wird auf andere Formate – nicht 1:1, sondern im „Nach-Erfahren“ mit dem Stift in der Hand. Dabei sind sie nicht im Sinne eines expressiv-informellen Aktes auf das Papier gebracht worden, und sie dienen auch keinem konkreten Zweck, im Sinne einer Bauzeichnung, einer stadtplanerischen Skizze oder Dokumentation, sondern sie sind bis zu einem gewissen Grade autonom. Lediglich für die Zeichnungen „Scheidtsche Tuchfabrik Essen-Kettwig“ hat sich der Künstler fotografischer Vorlagen aus einem Firmenjubiläums-Bildband bedient, indem er mit ihnen die räumliche Situation rekonstruierte, um so z.b. die Bewegungen des maschinellen Repetierens nachzeichnen zu können.

Die suchende, rhythmisierende, bewegte Hand zieht die Linien ohne technische Hilfsmittel (wie Lineal, Zirkel, Schablone oder computerbasierte Zeichenprogramme) direkt auf das Papier und unterteilt, vermisst, durchquert die Bildfläche. Die Linien sind einerseits perspektivisch angelegt, andererseits wechseln sie manchmal abrupt und scheinbar grundlos die Richtung – konstruktive und dynamische Lineaturen überlagern sich, es entstehen „Durchsichten“. Gesteigert wird dieses Prinzip zuweilen durch Übereinander-Projizieren, „durch das Zerschneiden und Neuzusammensetzen verschiedener Arbeiten in einem Blatt und eine erneute Zeichnung dieser Montagen vor Ort, die sich verdrehende Perspektiven in linear-organischen Zusammenhängen hervorbringt.“ (Johannes Buchholz)

Während das Figurative in den meisten Zyklen so gut wie keine Rolle spielt, kommt die Figuration über die Musik wieder mehr dazu, wie man in dem Ensemble-Zyklus sehen kann. Für alle Zyklen aber gilt, was Johannes Buchholz so beschreibt: “Ich versuche den Punkt zwischen Zeit und Raum zu treffen, in dem sich Gesten/Bewegungen zum Raum, zur Landschaft fügen und sich auch wieder trennen können, um pure Bewegung zu sein. Die Konzentration im Unkonzentrierten ist der Spannungspunkt, der auch den Betrachter in der Schwebe hält, im Hin und Her zwischen Erkennen und Entdecken.“ Dieser lebendige Rezeptionsprozess weckt kunsthistorische Assoziationen, etwa an die Stadtlandschaften von Piranesi oder zu den modernen Utopien z.b. von Le Corbusier; manchmal meint man auch, kartografisches Material zu entdecken; und an anderer Stelle mögen Georges Perec ́s „Träume von Räumen“ oder Italo Calvinos Beschreibungen der „Unsichtbaren Städte“ in den Sinn kommen.

*

Der Ausstellungstitel DURCHSICHT ist vom Künstler klug gewählt, verweist er doch auf wesentliche Aspekte: Johannes Buchholz hat seine Arbeiten der letzten 7 Jahren durchgesehen und es ist, da er „von allem etwas“ zeigen wollte, eine variationsreiche Bandbreite zu sehen. Die Zeichnungen sind entstanden in einem Prozess, den man als Überprüfung im Atelier der vor Ort skizzierten Räume bezeichnen kann. In den ausschnitthaften Zeichnungen verschränken sich verschiedene Ansichten und Sichtachsen zu einem „durchsichtigen“ Raumgefüge. Dieses Prinzip findet sich in größerem Maßstab wieder in der nicht-chronologischen und nicht-thematischen Hängung in der Alten Schule.

Die moderne Welt erscheint hier als lebendiges, offenes, dynamisches System, als pulsierend und hoch komplex, als Gefüge, in dem alles mit allem zusammenhängt. Das Ausstellung lädt dazu ein, sich entdeckend und erkennend durch die Räume der Zeichnungen zu bewegen

 

Essen-Steele, 2014

Kunst am Bau Wettbewerb - Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Ergebnisprotokoll

Preisgerichtssitzung
11.09.2009

Entwurf Johannes Buchholz

 

Beurteilung

Der Entwurf zeigt lose über die Wandflächen verteilte filigrane Bleistift- und Grafit­zeichnun­gen, welche direkt auf die mit Stuccolustro überarbeiteten Rigipswände des Flures aufgetra­gen sind. Mit diesem Rückgriff auf die seit der Antike verwendete Technik verweist der Künstler auf die Tradition der großen Wandmalereien der Geschichte.

Der Leitgedanken dieses Entwurfs bildet dabei die Aussage, dass die Handzeichnung die Grundlage der Visualisierung des menschlichen Denkens und Entwerfens darstellt. Dies gilt sowohl für die Malerei, die Bildhauerei, die Musik, aber auch für die Architektur und Projekt­entwicklung. Eine flüchtige Handskizze kann Zusammenhänge und Prozesse – in Form von Diagrammen und Netzwerkdarstellungen – veranschaulichen, die für die Allgemeinheit nicht erkennbar sind. Dies gilt auch für Projekte, die innerhalb von Ministerien und staatlichen Institutionen kommuniziert werden.

Gestalterische und räumliche Qualität:

Die direkt auf die Wandfläche aufgetragenen zarten Handzeichnungen stellen ein „Mixtum Compositum“ von baulichen Raumsituationen und Architekturelementen aus der Umgebung des BMAS dar. Die vor Ort entstandenen Handzeichnungen wurden vom Künstler im Atelier überarbeitet, aus dem Zusammenhang herausgelöst und als veränderte Bewegungs­muster und Raumkompositionen neu zusammengefügt. Eine Verbindung zwischen den einzel­nen Details wird teilweise durch kräftig gezeichnete und fast futuristisch anmutende lange Fluchlinien, die sich quer über das Bild spannen, hergestellt. Durch die Fragmentierung der einzelnen Zeichnungen kann der Betrachter auf den ersten Blick keinen schlüssigen narrativen Bildinhalt erkennen. Er muss sich den Inhalt des Dargestellten selbst erschließen“. Das Kalkül des Künstlers ist es dabei, den Betrachter unmittelbar in die Kommunikation einzubeziehen und ihn anzuregen, den Inhalt des Bildes stets neu zu durchdenken und dabei möglichst viele Interpretationsspielräume zu zulassen. Mit der Reduktion auf die Zeichnung, die die Grundlage des Entwerfens ist, hebt der Künstler das erstarrte Schema des tradierten historischen Wandgemäldes mit narrativem Inhalt auf. Diese feinsinnige Arbeit wird auch noch über Jahre hinweg die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen und die Kommunikation mit den Vorbeigehende aufrecht erhalten.

Die sich – vom jeweiligen Betrachter aus – veränderte Ausgangsbasis zur Interpretation des Bildes entspricht dabei nicht nur dem Ablauf des täglichen Lebens im Umfeld des BMAS – in dem der urbane, schnelle Wechsel und die Neubesetzung von Plätzen, Räumen und Zeichen gespiegelt wird – sondern auch dem Selbstverständnis des BMAS, Entscheidungsfindungen – abhängig von den äußeren Umständen und Einflüssen aus der Gesellschaft – täglich neu zu reflektieren und zu prüfen.

Public art competition
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Federal Ministry of Labour and Social Affairs)

Decision details

Jury meeting
11.09.2009

Design Johannes Buchholz

 

Judgement

The design for the corridor walls consists of a loose composition of delicate drawings in pencil and graphite applied directly to plasterboard walls that have been covered with stucco lustro. By referring to a technique that has existed since antiquity, the artist is consciously drawing on the tradition of the great murals of the past.

The underlying idea of this proposal is the assertion that drawing is at the core of any visualization of human thought or design. That is true of painting, sculpture, and music, but also architecture and project development. A quick sketch in the form of a diagram or a network representation can visualize connections and processes that would be meaningless to the general public. That is also the case for projects communicated within ministries and state institutions.

Artistic and spatial quality

These delicate drawings, which are applied directly to the surface of the wall, present a mixtum compositum of built spatial situations and architectural elements taken from the immediate surroundings of the BMAS. Drawings made on site were subsequently reworked by the artist in the studio – and thereby removed from their original context – and re-assembled to form altered motion patterns and spatial compositions. The individual details are related in part by the long, forcefully drawn, almost futuristic-looking perspective lines that stretch right across the image. On initial viewing the fragmentation of the individual drawings makes it difficult to make out a coherent narrative content. The viewer is forced to “deduce” the content of what is represented him- or herself. Here, the artist’s intention is to directly involve the viewer in the communication, to encourage him or her to constantly rethink the pictorial content, and thus to allow the greatest possible interpretive range. By restricting himself to drawing, which forms the foundation of artistic composition, the artist is able to bypass the ossified schema of traditional historical mural painting with its narrative content. This sensitive work will draw the attention of the viewer for many years to come, and will continue to maintain communication with those who come into contact with it.

At the same time, the shifts in the interpretation of the work, from the point of view of each viewer, correspond not only to the course of daily life in the environment of the BMAS – in which the dynamic urban flux and the changing use of spaces and signs is reflected – but also – subject to external factors and the influences of society – to the constant reconsideration of the BMAS’s self-understanding and decision making processes.

Annette Thomas - Subtile Städte

In seinem Roman „Die unsichtbaren Städte“ widmet Italo Calvino eine Reihe seiner Stadtportraits den „Subtilen Städten.“ Er fasst darunter Städte, die in ihrer Anlage abweichen von der Verortung in Zeit und Raum.

Die Bauten Zenobias sind in unterschiedlicher Höhe auf einander sich übersteigenden Stelzen errichtet und durch Wendeltreppen und hängende Fußwege miteinander verbunden. Amalia hat weder Wände noch Decken noch Fußböden, sondern lediglich Wasserleitungen, die senkrecht aufsteigen, wo Häuser stehen müssten, und sich verzweigen, wo Stockwerke sein müssten. Sofronia ist aus zwei halben Städten zusammengesetzt. Die eine steht fest, die andere ist provisorisch, und wenn ihr Aufenthalt vorüber ist, wird sie abmontiert, um sie auf dem freien Gelände einer anderen halben Stadt wiederaufzubauen. Die Stadt Ottavia liegt über der Leere. Ihre Grundlage ist ein Netz, das als Passage und Halt dient. 1

Die Stadtlandschaften von Johannes Buchholz lösen sich in ähnlicher Weise vom Oben und Unten, Rechts und Links, von Nahem und Fernen. Erstaunlicher Weise tun sie das, obwohl der Künstler zu Beginn einer Serie vor Ort zeichnet. Er sucht Ausblicke auf die Stadt, postiert sich auf Balkonen, Dächern, Standorten, die einen Überblick erlauben. Das sich ihm bietende Panorama „durchläuft“ er schnell und ungezielt mit den Augen und gibt gleichzeitig Impulse in seine „auf-zeichnende“ Hand. Auf dem Papier entsteht eine Sammlung beiläufig gefundener Konstruktionen, Linien von Bewegungen und Rhythmen. Die rasche Aufzeichnung des unmittelbaren Wirklichkeitseindrucks gleicht einer stenographischen Verkürzung. Er entwickelt eine Art des Beschreibens des Sichtbaren, die sich vom Gegenstand löst. Der Künstler sucht das konkrete Gegenüber, um seine Wiedergabe möglichst fern zu halten vom „Realen.“

Dazu wird die Zeichnung im Weiteren oft gedreht oder zerschnitten und neu geordnet und erneut vor Ort überzeichnet oder fortgeschrieben. Zu einem späteren Zeitpunkt im Atelier wird dieser Vorgang fortgesetzt, aber jetzt ist die Vor-Ort-Zeichnung die Vorlage und erfährt eine weitere Transformation. In den Zeichnungen (wie z.B. in der Serie „Martin-Luther-Straße“) verschieben und verdrehen sich Perspektiven und Zusammenhänge je nach der veränderten Lage der „Puzzlestücke“. Auffallend ist das unhierarchische Nebeneinander aller Bildelemente, es gibt kein Hervorheben von Besonderheiten im Ganzen, durch Verdichtung oder Veränderung der Strichstärke. Johannes Buchholz packt den Blick im Moment der Leere, der Moment in dem alles und nichts zugleich da ist und der bei uns gewöhnlich eher der Langeweile oder der Unkonzentration entspringt. In diesem Vorgehen ahnt man die Sehnsucht nach dem perspektivlosen Sehen:

„Ich versuche den Punkt zwischen Zeit und Raum zu treffen, in dem sich die Gesten/Bewegungen zum Raum, zur Landschaft fügen (die in der Tiefe gestaffelt ist) und sich auch wieder trennen können, um Bewegung zu sein. Die Konzentration im Unkonzentrierten ist der Spannungspunkt, der auch den Betrachter in der Schwebe hält, im Hin und Her zwischen Erkennen und Entdecken.“2

In den großformatigen Zeichnungen „Frankfurter Tor“ verzichtet Johannes Buchholz auf das Zerschneiden und Neuordnen. Die Auflösung der Raumordung vollzieht sich innerhalb der Zeichnung selbst. Wir sehen auf eine Kreuzung auf der sich, durch begrünte Mittelstreifen getrennte, mehrspurige Autostraßen, Fahrradwege und Straßenbahnschienen kreuzen und unter der sich zudem der gleichnamige U-Bahnhof befindet. Zum Zeitpunkt der „Auf-zeichnung“ ist die Kreuzung Baustelle, d.h. neben den Leitlinien zur reibungslosen Verkehrsreglung finden sich diejenigen provisorischen Linien auf den Fahrbahnen, die die abweichende Verkehrsführung kennzeichnen.

Die Sicht auf die belebte Kreuzung vom dem Balkon des zehnten Stockwerks eines der beiden Türme, die den Platz zum Zentrum der Stadt hin abschließen, verflacht den Raum. Der Künstler folgt zunächst der zentralperspektivischen Sichtweise, ohne im Geringsten die vertikale Ausdehnung der Randbebauung zu berücksichtigen. Das temporäre Liniennetz klappt er jedoch so in den Raum, das aus der Bündelung von Linien eine abstrakte Körperlichkeit entsteht, frei von passierenden Autos oder eiligen Passanten. Allein das Netz aus sich schneidenden Linien scheint die flirrende Betriebsamkeit der Stadt wiederzugeben. Die Linien folgen dem Straßenverlauf außerhalb des Blattes. Sie folgen einem dynamischen Strom, geraten in Bewegung, werden unscharf, um sich im nächsten Moment wieder neu zu formieren. Der Rand des Papiers markiert die Grenze unseres Blickfeldes, einen Ausschnitt, in deren Mitte eine konzentrierte Form das Zentrum eines Strudels zu bilden scheint.

In neueren Arbeiten wie „Im Gelände“ oder „Kammermusiksaal“ variiert der Künstler erneut sowohl Motiv wie auch sein zeichnerisches Vorgehen. Wie bereits in „Frankfurter Tor“ verkleinert sich der Fokus auf den Raum. Anstelle des Panoramas wird eine räumliche Situation gewählt, die sich durch eine charakteristische Form auszeichnet. Das Prinzip des seriellen Zeichens wird beibehalten. Nach wie vor “übt“ der Künstler durch Wiederholung an der jeweiligen Gegebenheit, spürt dem Wesentlichen der Raumsituation nach, sucht die Linien um das Spezifische des Raums zu beschreiben.

Auffallend auch hier, dass ein Volumen nie durch-gezeichnet wird. In den Zeichnungen von Johannes Buchholz sucht man vergebens nach der geschlossenen Form oder der konkreten Beschreibung einer architektonischen Form. Der Künstler nutzt weder die Möglichkeiten einer blattübergreifenden Rasterung um seinem Gespinst halt zu geben, noch verfällt er der Versuchung einer ornamentalen Umschreibung. Nur selten verdichtet sich eine Schraffur zur Fläche.

Die Entscheidung für die Linie wird unterstrichen durch die Beschränkung der zeichnerischen Mittel auf den Bleistift. Das ist gewissermaßen der erste Paragraph eines selbst gewählten Regelwerks. Zerschneiden, Neuordnen, Drehen und Klappen wurden bereits als Verfahren vorgestellt, ebenfalls das Prinzip der Wiederholung. Bezeichnend, dass am Ende eines Durchlaufs die Zeichnung entweder geglückt ist oder verworfen wird. Es gibt kein Eingreifen oder Überarbeitungen zu einem späteren Zeitpunkt. Der Vorgang des Zeichnens bleibt an den Moment gebunden.

Es geht um die Balance von Zeit und Raum, um die fragile Konstruktion von Wahrnehmung – um die Mischung aus Zufall und Wissen, aus Unbedarftheit und Virtuosität, aus persönlicher Verfassung und äußerer Gegebenheit. Hier begründet sich auch die Subtilität der Zeichnungen von Johannes Buchholz: die Zartheit des Strichs, die Offenheit und Rhythmisierung der linearen Strukturen einerseits und die gleichzeitige präzise Beschreibung des spezifischen Raumes.

„Wenn nichts unseren Blick aufhält, trägt unser Blick sehr weit. Doch wenn er auf nichts stößt, sieht er nichts; er sieht nur das, worauf er stößt: der Raum, das ist das, was den Blick aufhält, das, worauf die Augen treffen …, der Raum, das ist, wenn es einen Winkel bildet, wenn es aufhört, wenn man sich umdrehen muss, damit es wieder weitergeht” 3

 

1 Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte, dtv, München 1996, S.42/43, S.58/59, S. 71/72 u. S. 85/86.

2 Johannes Buchholz im Gespräch mit A.T., Jan. 2008

3 Georges Perec, Träume von Räumen, Frankfurt/M., 1994, S. 114 f.

In his novel “Invisible Cities”, Italo Calvino dedicates a series of his city portraits to the “Thin Cities”. Among these, he included cities that cannot be properly fixed in time and space.

The buildings of Zenobia are placed at various heights on stilts, crossing over each other, and linked by ladders and hanging sidewalks. Armilla has neither walls, nor ceilings, nor floors, but only water pipes that rise vertically where the houses should be, and spread out horizontally where there should be floors. Sophronia is made up of two half-cities. One is permanent, the other is temporary, and when the period of its sojourn is over, it is dismantled, and transplanted to the vacant lots of another half-city. The city Octavia lies over the void. Its foundation is a net that serves as passage and support.1

Johannes Buchholz’s cityscapes also seem to detach themselves from an above and below, right and left, near and far. This is particularly remarkable since the artist begins each series of drawings on site. He searches for views of the city, installs himself on balconies, roofs, places where he can get an overview. Rapidly and without any particular intention, he scans the panorama that spreads out in front of him. At the same time, signals are sent to his “registering” hand. Incidental constructions, dynamic and rhythmic lines gather on the paper. The registration of these immediate impressions resembles a form of shorthand. Johannes Buchholz develops a way of describing the visible that simultaneously detaches itself from the object. Through the concrete encounter, the artist attempts to keep its depiction as far as possible from the “real”.

To achieve this, the drawing is often turned or cut up and reordered, then overdrawn or developed further on site. This process is continued in the studio, where the on-site drawing becomes the starting point for further transformations. In the series Martin-Luther-Straße, for example, perspectives and connections are shifted and turned according to the new arrangement of the “puzzle pieces”. There is no hierarchy in the juxtaposition of the pictorial elements. No parts are given special emphasis by being made denser or being given a stronger line. Johannes Buchholz grabs the gaze in the moment of its emptiness, a moment in which everything and nothing is simultaneously present – one commonly associated with the experience of boredom or distraction. This approach suggests a desire for a perspectiveless way of seeing:

I try to find the point between time and space in which the gestures/movements are joined to space, to landscape (that is layered in depth) and can become separated again to become movement. Concentration in moments where there is no concentration is the point of tension that also keeps the viewer in a state of suspension, in the back and forth between knowledge and discovery.”2

In the large-scale drawings Frankfurter Tor, Johannes Buchholz does without the cutting up and re-ordering. The dissolution of space is carried out within the drawing itself. We look down onto a crossing with many-laned roads, cycle paths and tram lines, with the Frankfurter Tor underground station beneath. At the time of “registration”, this crossing was a building site. Besides the street markings for regulating the traffic, provisional markings were laid out to guide the diverted traffic.

The view onto the lively crossing from the balcony of the tenth floor of one of the two towers closing off the square in the direction of the city centre flattens space. The artist conforms to the central perspective way of looking, without taking into account the vertical extension of the surrounding buildings. Nevertheless, he folds the temporary network of routes into the space in such a way that an abstract physicality emerges, one free of passing cars or hurrying pedestrians. The criss-cross of lines alone seems to convey the buzzing activity of the city. The lines follow the road beyond the sheet. They follow a dynamic flow, get caught up in movement, become vague, to immediately reform again. The edge of the paper marks the limit of our visual field, a section, in the middle of which a concentrated form seems to constitute the centre of an eddy.

In newer works such as Im Gelände or Kammermusiksaal, the artist again varies the motifs as well as the graphic approach. As in “Frankfurter Tor”, the drawings focus on the space. This time, however, instead of a panorama, the artist chooses a spatial situation defined by a particularly distinctive form. The principal of serial drawing is retained. As in previous works, the artist “practices” through the repetition of the given conditions, he looks for the essential in the situation, searches for lines to describe what is specific to the space.

Here too, volumes are never completely resolved. One searches in vain for closed forms or concrete descriptions of architecture. The artist doesn’t try to give this mesh of lines a bearing by spanning a grid over the sheet, nor does he give in to the temptation of ornament. Only rarely does a plane arise out of a dense field of hatching.

His commitment to the line is highlighted by his decision to limit himself to pencil on paper. That is to some extent the first rule of his self-imposed method. Processes of cutting, reordering, turning and folding have already been described, as well as the principle of repetition. At the end of each cycle, the drawing either succeeds or is discarded. There is no intervention or reworking. The drawing process remains linked to the moment.

Johannes Buchholz’s drawings deal with the balance of time and space, the fragile construction of perception, the combination of chance and knowledge, simplicity and virtuosity, personal constitution and outer conditions. And this is the source of their subtlety – the delicacy of the line, the open and rhythmic linearity on the one hand, and the precise description of a specific space on the other.

When nothing arrests our gaze, it carries a very long way. But if it meets with nothing, it sees nothing, it sees only what it meets. Space is what arrests our gaze, what our sight stumbles over: … Space is when it makes an angle, when it stops, when we have to turn for it to start off again.3

 

1 Italo Calvino, Invisible Cities, Vintage, London, 1997 (pp. 35, 49, 63, 75).

2 Johannes Buchholz in conversation with A.T., Jan. 2008

3 George Perec, Species of Spaces and Other Pieces, Penguin Books, London, 1997, p. 81.